Tempo 30 auf allen städtischen Hauptverkehrsachsen? Städteinitiative will lebenswertere Städte durch angemessene Geschwindigkeiten

Die Städteinitiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten – eine neue kommunale Initiative für stadtverträglichen Verkehr“ verfolgt das Ziel einer unbürokratischeren Durchsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h als Regel in Innenstädten. Bisher gibt die Straßenverkehrsordnung eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in Innenstädten vor. Jede Abweichung muss begründet werden. So sieht man die Tempo-30-Beschilderung oftmals vor Schulen, Seniorenheimen und Kindertagesstätten, da sich hier vermehrt vulnerable Gruppen im Straßenraum aufhalten. Auch auf Straßenabschnitten, auf denen es nachweislich häufiger zu Unfällen kommt, kann 30 km/h angeordnet werden.

Die Initiative ging vom Deutschen Städtetag aus, der die Interessen aller kreisfreien Städte vertritt. Mittlerweile unterstützen 77 Städte und Gemeinden das Projekt; darunter zum Beispiel Bonn, Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Göttingen, Halle (Saale), Köln, Lüneburg, Oldenburg, Saarbrücken, Würzburg und noch viele mehr.

Was könnte mit einer flächendeckenden Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h in Städten erreicht werden?

  • Weniger Lärm: 4 dB weniger und damit rund ein Drittel leiser für die menschliche Wahrnehmung,
  • Verringerte Feinstaubbelastung
  • Weniger tödliche Verkehrsunfälle,
  • Höhere Aufenthaltsqualität der Städte,
  • Weniger gesundheitliche Folgeschäden durch Lärm wie z. B. Schlaflosigkeit, Unruhe und Herz-Rhythmus-Störungen,
  • Höhere (subjektive) Sicherheit für Radfahrer*innen und Zufußgehende durch kürzeren Bremsweg,
  • ggf. Verringerung des MIV durch Umstieg auf Fahrrad, ÖPNV und Sharing-Angebote aufgrund der niedrigeren Geschwindigkeiten.

Welche Gegenargumente gibt es gegen Tempo 30?

  • Gesenkte Verkehrskapazität, längere Fahrtzeiten, mehr Staurisiko,
  • Verlagerung von Verkehr von den Hauptachsen in die Nebenstraßen,
  • Ausbremsen des ÖPNV, wenn keine eigenen Fahrspuren vorhanden,
  • Längere Anfahrtszeiten von Notfallverkehren,
  • Unsicherheit bzgl. der gesteigerten Verkehrssicherheit, da die meisten Unfälle in Städten beim Abbiegen passieren (dabei wird ohnehin langsam gefahren und diese Unfälle enden sehr selten tödlich),
  • Ggf. höherer Kraftstoffverbrauch und CO2-Austoß durch niedrigeren Wirkungsgrad des Motors bei Tempo 30,
  • Notwendige Umgewöhnung der Autofahrenden.

Blick ins Ausland – Wo gibt es schon flächendeckendes Tempo 30?

Ab dem 01.01.2021 gilt in der gesamten Hauptstadtregion Brüssel 30 km/h. Das übergeordnete Ziel der neuen Regelung sind absolut keine Verkehrstoten und -schwerverletzte. Die neue Regelung führte zur Verkehrsberuhigung, weniger Unfällen und weniger Unfällen mit Schwerverletzten und zu weniger Lärmbelästigung. Wider Erwartungen kam es nicht zu längeren Fahrt- und Reisezeiten. Auch der Anteil der Geschwindigkeitsüberschreitungen ging nachweislich zurück.

In Paris gilt seit dem 30.08.2021 auf allen Straßen 30 km/h. Ausgenommen sind Ring- und Ausfallstraßen sowie größere Verkehrsachsen wie Champs-Elysées. Das Hauptziel ist hier die Reduzierung des Lärms. Die Annahme der Maßnahme ist hier gut; 60 % der Pariser*innen hatten sich für ein Tempolimit von 30 km/h oder weniger ausgesprochen. In der französischen Hauptstadt gab es bei der Planung und Einführung allerdings auch Gegenstimmen: Man befürchtete Konflikte unter den Bürger*innen, nächtliche Staus und höhere CO2-Emissionen.

In Spanien gilt seit Mitte Mai 2021 folgende Regelung: Wenn in Städten nur eine Fahrspur pro Richtung vorhanden ist, ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h. Als Ziel gilt hier nicht nur die allgemeine Verkehrsberuhigung, sondern auch ein besseres Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden. Die Regelung betrifft 80 % der Straßen. Wenn mehrere Fahrspuren vorliegen, sind maximal 50 km/h erlaubt. Ausnahmegenehmigungen sind jedoch möglich. Die Regel exkludiert allerdings die Hauptachsen der Großstädte, da hier meist mehr als eine Fahrspur pro Richtung vorhanden sind.

Ausgewählte begleitende Maßnahmen für den Erfolg der Maßnahme sowie Akzeptanz durch die Bevölkerung:

  • Anpassung der Lichtsignalanlagen an die neue zulässige Höchstgeschwindigkeit,
  • Integration in (Fahr-)Schulunterricht: Einfluss von Lärm auf die Gesundheit, Auswirkung von Geschwindigkeit bei Unfällen mit Radfahrer*innen oder Zufußgehenden,
  • Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung durch Plakate im Straßenraum,
  • Ergänzende Anreize zur Nutzung des Umweltverbundes.

FAZIT
Es gibt viele Pro- und Contra-Argumente für das Vorhaben, Tempo 30 auf allen innerstädtischen Hauptverkehrsachsen als Regel einzusetzen. Ob eine stadtweite Durchsetzung sinnvoll und angemessen ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Zügig sollte den Kommunen jedoch ermöglicht werden, Tempo 30 für einzelne Straßenzüge auch ohne besondere Gefahrensituation oder Nähe zu sozialen Einrichtungen anzuordnen – beispielsweise mit der Begründung des Klima- und Umweltschutzes. Die Auswirkungen von Tempo 30 im innerörtlichen Hauptverkehrsnetz sollten im Rahmen von Modellvorhaben noch stärker erforscht werden. Dies betrifft u. a. mögliche negative Effekte auf den ÖPNV, die erhöhte Sicherheit für den Radverkehr und zu verhindernde Verdrängungseffekte des Verkehrs in das Nebennetz.